Buchenwald-Ständelwurz
Epipactis fageticola

(HERMOSILLA) J. DEVILLERS-TERSCHUREN & P. DEVILLERS 1999


Bas.: Epipactis phyllanthes G.E. SMITH var. fageticola HERMOSILLA, Est. Mus. Cienc. Nat. de Alava 13: 136 (1998)

Typus: Spanien, La Rioja, Ezcaray, Bonicaparra

Abb. 1
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Foto: HP




Abb. 2
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin, 25.06.2000
Foto: HP
Syn.: Epipactis stellifera DI ANTONIO & VEYA, Candollea 56: 204 (2001)
            Typus: Schweiz, Vaud, Saint Oyens
Etymologie:
fageticola = buchenwaldbewohnend (am locus typicus)
stellifera = sterntragend, nach der Form der Blüte (manchmal!)

Wuchs und Größe :

15-40(-65) cm, meist einzeln

Stängel:

dünn, etwas weich, hellgrün, unten leicht rötlich

Blätter:

meist nur 3 Laubblätter und 0-1 Hochblatt; eiförmig bis lanzettlich, etwas überhängend, Rand oft wellig, 3,5-7 cm lang = so lang wie das Internod oder wenig länger, das unterste bodenfern angesetzt („hochbeinig“)

Blütenstand:

locker, kurz (1/4 bis 1/5 der Gesamtgröße) mit 5-20(-30) Blüten, einseitswendig, Stängel (Spindel) fast kahl

Fruchtknoten und Stiel:

kahl, Stiel hellgrün, selten leicht bronzefarben

Tragblätter:

unterste oft deutlich länger als die Blüte

Blüten:

von weit geöffnet über glockig bis (häufig!) kleistogam, nickend bis hängend, mittelgroß

Bestäubung obligat autogam

Sepalen:

blassgrün, 9 mm lang, relativ schmal

Petalen:

grünlichweiß, schmal

Hypochil:

innen grün, nektarhaltig

Durchgang zwischen Hypo- und Epichil:

mäßig breit

Epichil/Kalli:

spitz eiförmig-dreieckig, meist deutlich länger als breit, Spitze nicht oder kaum zurückgebogen; Seitenkalli kräftig, wenig gefurcht; Epichil weiß, Kalli selten leicht rosa überlaufen

Gynostemium:

Viscidium meist vorhanden und unwirksam, auch verkümmert

Blütezeit:

E6-E7(-M8)
Variabilität:
Auffallend ist die je nach Population und Wasserangebot sehr unterschiedliche Öffnung der Blüten, die sich bei Trockenheit entweder gar nicht erst öffnen oder nach kurzer Zeit wieder schließen.
Verwechslungsmöglichkeiten:

E. phyllanthes: siehe Problematik!

E. exilis hat ein innen braunes Hypochil, die stark gefurchten, rosa gefärbten Kalli des kürzeren Epichils sind durch eine enge, tiefe Kerbe getrennt.

E. bugacensis (die öfter mit E. fageticola zusammen vorkommt!), E. campeadorii, E. moravica und E. tallosii unterscheiden sich von E. fageticola durch die stärkere Behaarung der Spindel und das kürzere, zurückgeschlagene Epichil.

E. albensis und E. fibri sind an dem aufgebogenen Rand des vorgestreckten Epichils und der deutlich sichtbaren weißen, kurzen Behaarung der Spindel zu erkennen.

Abb. 3
Schweiz, Vaud, St. Oyens 20.07.2005
loc. typ. von Epipactis stellifera
Foto: WW
Verbreitung

Gebiet:

Spanien, S- und SO-Frankreich, W-Schweiz


Höhe:

200 – 1500 m


Stand 2010
Verbreitungsgebiet
Kartenquelle: www.mygeo.info


Abb. 4
Spanien, La Rioja, Valgañón 28.06.2001
Loc.typ. der "Ep. phyllanthes var. fageticola"
Foto: WW

Standort

Boden:

---

Exposition:

---

Biotoptyp:

Ränder von Waldbächen, Auwälder, immer im Überschwemmungsbereich

Besonderheiten
Eine ausführliche Diskussion mit reichem Bildmaterial findet sich bei GÉVAUDAN, LEWIN & DELFORGE, Natural. belges 82: 39-104 (2001)

Problematik
Eine eindeutige morphologische Unterscheidung zwischen Epipactis fageticola und der sehr vielgestaltigen E. phyllanthes s.l. ist nicht möglich, worauf schon HERMOSILLAs ursprüngliche Beschreibung als E. phyllanthes var. fageticola hindeutet.
Die Heraufstufung zu einer gegenüber E. phyllanthes eigenständigen Art Epipactis fageticola durch DEVILLERS & DEVILLERS-TERSCHUREN wurde begründet mit arealgeografischen Spekulationen über die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb einer postulierten „Epipactis phyllanthes-Gruppe“ sowie mit einem morphologischen Merkmal. Demnach sollten bei E. fageticola die Außenseiten der Sepalen kontrastierend deutlich heller („weißlich“) sein als der Fruchtknoten, während bei E. phyllanthes Sepalen und Fruchtknoten gleichfarbig grün sind. Auf den Bildern dieser Seite ist ein derartiger Kontrast auf Bild 30 erkennbar, nicht dagegen auf den Bildern 2, 23-29, 32 und 38, die darin E. phyllanthes gleichen.
In der neueren französischen Literatur [BOURNÉRIAS & PRAT, Les Orchidées de France, Belgique et Luxembourg (2005); SCAPPATICCI, GÈVAUDAN & LEWIN, l’Orchidophile 180: 43-52 (2009)] wird E. fageticola (fag) trotzdem als selbständige Art betrachtet mit folgenden Unterscheidungsmerkmalen gegenüber E. phyllanthes (phy):
1. Die Spindelbehaarung: fag „ziemlich dicht behaart“, phy „fast kahl“.
Unzutreffend, die Bilder 30-32, 38 und 46 aus 4 verschiedenen Populationen zeigen alle eine ± kahle Spindel.
2. Das Viscidium: fag „vorhanden, vergänglich“, phy „In der Regel fehlend“.
Die Formulierung „In der Regel“ umschreibt die Tatsache, dass die französische E. phyllanthes var. olarionensis ein gut ausgebildetes, aber funktionsloses Viscidium besitzt.
3. Die Zähnung des Blattrands: fag „mit Unterbrechungen (Hiatus)“, phy „unregelmäßig“.
Schwer einzuschätzendes Merkmal mit widersprüchlicher Datenlage. Die in der Literatur zu findenden Fotos und Zeichnungen zeigen bei beiden Arten neben der angeblich typischen Zähnung auch solche, die sich der anderen Art nähert; Unterbrechungen in der Zähnung finden sich nur bei einem Teil der fageticola-Proben, aber ebenso bei einem Teil der phyllanthes-Proben.
4. Die Blütengröße: fag „klein bis mittelgroß“ bzw. „kleiner“, phy „mittelgroß“.
Die Größenangaben an gleicher Stelle sprechen für sich: Sepalenlänge bei fag 8-10 mm, bei phy 7-11 mm.
5. Die Anthere: bei fag „schmaler“ als bei phy.
Nach eigenen Beobachtungen an E. phyllanthes var. olarionensis unzutreffend (Bild 48, 49).
Die von den oben zitierten französischen Autoren angeführten ökologischen Unterschiede:
E. fageticola  „nass, sickerfeucht, Auwälder, Schluchten, manchmal in voller Sonne, bis 1500 m“
E. phyllanthes  „lichte Kiefernwälder, auf kalkhaltigem Sand, in sehr niedriger Meereshöhe“
gelten nur für Frankreich. In England hat E. phyllanthes eine große ökologische Spannweite von kalkhaltigem Dünensand bis zu feuchten Laubwäldern auf schwachsaurem Untergrund, sie ist allerdings überall auf Tieflagen beschränkt, während E. fageticola die kolline und montane Höhenstufe besiedelt.
Die bisher einzige biochemisch-molekulargenetische, viele Epipactis-Arten umfassende Untersuchung [HOLLINGSWORTH et al. in BAILEY & ELLIS, Current taxonomic research on the British and European Flora: 27-44 (2006); http://www.rbge.org.uk/assets/files/science/Genetics_Conservation/EpipactisTaxonomicComplexity.pdf] erfasste scheinbar nur E. phyllanthes; diese enthielt jedoch eine Probe aus der Schweiz, bei der es sich um E. stellifera = E. fageticola handelte. Da alle 27 Proben von E. „phyllanthes“ ein identisches, von allen anderen untersuchten autogamen Arten außer E. „confusa“ verschiedenes Ergebnis erbrachten, lässt sich auch mit diesem Verfahren E. fageticola nicht von E. phyllanthes unterscheiden.
Bleibt das arealgeografische Argument. In N-Spanien und Frankreich, den Gebieten, in denen beide Arten vorkommen, ist E. phyllanthes auf die unmittelbare Küstenregion beschränkt. Es existiert also eine beträchtliche Lücke zwischen den Arealen beider Arten, obwohl geeignete Wuchsorte dazwischen keineswegs fehlen. Falls diese Lücke tatsächlich real ist und nicht nur eine Lücke der Kenntnis, würde das auf eine unabhängige Entstehung beider Arten hindeuten (aber natürlich nicht beweisen!), deren extreme morphologische Ähnlichkeit dann zufällig wäre.
Sieht man von dem etwas delikaten Merkmal der Blattrandzähnung einmal ab, dann sind die einzigen Argumente für zwei getrennte Arten ökologischer und arealgeografischer Natur. Sie basieren allerdings auf der Annahme, dass die einzelnen Populationen der morphologisch nicht sicher unterscheidbaren „Arten“ korrekt bestimmt wurden – ein logischer Zirkelschluß!

Man kann es also niemandem verdenken, wenn er bis zu einem Beweis des Gegenteils Epipactis fageticola als Synonym von Epipactis phyllanthes ansieht.

Abb. 5
Frankreich, Drome, Bourdeaux  19.07.2005
Foto: HZ

Abb. 6
Frankreich, Drome, Bourdeaux  19.07.2005
Foto: HZ

Abb. 7
Frankreich, Drome, Bourdeaux  19.07.2005
Foto: HZ

Abb. 8
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin 01.06.1998
Foto: WW

Abb. 9
Schweiz, Vaud, St. Oyens 20.07.2005
loc. typ. von Epipactis stellifera
Foto: HZ

Abb. 10
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Loc.typ. der "Ep. phyllanthes var. fageticola"
Foto: HP

Abb. 11
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Foto: HP

Abb. 12
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin, 25.06.2000
Foto: HP

Abb. 13
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Foto: HP

Abb. 14
Frankreich, Drôme, Bourdeaux 19.07.2005
Foto: WW

Abb. 15
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin 03.07.2001
Foto: WW

Abb. 16
Spanien, La Rioja, Valgañón, 28.06.2001
knospige Pflanze
Foto: WW

Abb. 17
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin, 03.07.2001
Foto: WW

Abb. 18
Schweiz, Genève, Genf, 13.07.2005
Foto: WW

Abb. 19
Frankreich, Drôme, Bourdeaux, 19.07.2005
Foto: WW

Abb. 20
Frankreich, Drôme, Bourdeaux, 19.07.2005
Foto: WW

Abb. 21
Frankreich, Rhône, Lyon, 21.06.1997
Foto: WW

Abb. 22
Schweiz, Vaud, St. Oyens, 20.07.2005
loc. typ. von Epipactis stellifera
Foto: WW

Abb. 23
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin, 25.06.2000
Foto: HP

Abb. 24
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Foto: HP

Abb. 25
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Foto: HP

Abb. 26
Schweiz, Genève, Genf, 13.07.2005
Foto: WW

Abb. 27
Schweiz, Genève, Genf, 13.07.2005
Foto: WW

Abb. 28
Frankreich, Drôme, Bourdeaux, 19.07.2005
Foto: WW

Abb. 29
Schweiz, Genève, Genf 13.07.2005
Foto: WW

Abb. 30
Frankreich, Drôme, Bourdeaux 19.07.2005
Foto: WW

Abb. 31
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin 03.07.2001
Foto: WW

Abb. 32
Schweiz, Vaud, St. Oyens 20.07.2005
loc. typ. von Epipactis stellifera
Foto: WW

Abb. 33
Frankreich, Drôme, Bourdeaux 19.07.2005
Foto: WW

Abb. 34
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin, 25.06.2000
Foto: HP

Abb. 35
Frankreich, Drôme, Bourdeaux 19.07.2005
Foto: WW

Abb. 36
Frankreich, Rhône, Lyon 21.06.1997
Foto: WW

Abb. 37
Schweiz, Genève, Genf 13.07.2005
mit rosa überlaufenem Epichil
Foto: WW

Abb. 38
Frankreich, Rhône, Lyon 21.06.1997
Foto: WW

Abb. 39
Frankreich, Drome, Bourdeaux  19.07.2005
Foto: HZ

Abb. 40
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Foto: HP

Abb. 41
Frankreich, Drome, Bourdeaux  19.07.2005
Foto: HZ

Abb. 42
Frankreich, Drome, Bourdeaux  19.07.2005
Foto: HZ

Abb. 43
Schweiz, Vaud, St. Oyens 20.07.2005
loc. typ. von Epipactis stellifera
Foto: HZ

Abb. 44
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Foto: HP

Abb. 45
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin, 25.06.2000
Foto: HP

Abb. 46
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin, 25.06.2000
Foto: HP

Abb. 47
Spanien, La Rioja, Valgañón 02.08.2001
Foto: HP

Abb. 48
Frankreich, Vaucluse, Lourmarin 03.07.2001
Foto: WW

Abb. 49
Zum Vergleich: E. phyllanthes,
Frankreich, Charente-Maritime, Île d'Oléron 22.06.2001
Foto: WW

Abb. 50

Blattränder: Herkunft und Quelle
alle Abb. im gleichen Maßstab, bei O nur geschätzt

Epipactis phyllanthes

A: F, Oléron / WW 2001 + 2005
B: F, Oléron / Delforge, Nat. belges 78: 241 (1997)
C: F, Landes / Delforge, Nat. belges 78: 241 (1997)
D: DK, Jütland, Stouby Skov / Young, Bot. Not. 1953: 260
E: GB, Lancashire, Freshfield / Young, Bot. Not. 1953: 260
F: DK, Jütland, Munkebjerg (= E. confusa) / Young, Bot. Not. 1953: 260
G + H: D, NRW, Minden / Sczepanski et al., JEO 36: 1040 (2004)

Epipactis fageticola

J: E, Orense, Rubia / Cortizo & Sahuquillo, aus Gévaudan et al., Nat. belges 82: 58 (2001)
K: E, Burgos, Puente Arenas / Hermosillo, aus Gévaudan et al., Nat. belges 82: 58 (2001)
L: F, Savoie, Motz / Moingeon, aus Gévaudan et al., Nat. belges 82: 58 (2001)
M: CH, Vaud, St. Oyens (= E. stellifera) / Di Antonio & Veya, Candollea 56: 206 (2001)
N: E, La Rioja, Las Ruedas de Ocón / Benito Ayuso et al., Zubía 17: 88 (1999)

O: E, La Rioja, Ezcaray / Hermosilla, Est. Mus. Cienc. Nat. de Alava 13: 137 (1998)
Zusammenstellung: WW


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