Germerblättrige Ständelwurz
Epipactis veratrifolia
BOISSIER & HOHENACKER 1854


*Epipactis veratrifolia *BOISSIER & HOHENACKER, Boiss., Diagn. Pl. Or., Ser.1(13): 11. (1854)

Abb. 1
Epipactis veratrifolia
und Ophrys schulzei Türkei, Lice Kulp,18.05.08 Spätblüher, Typische Pflanze
Foto: EG
Typus: Iran, Prov. Tehran, March Mahal bei Darband

Syn.:
Epipactis amoena BUCH.HAM. ex WALL. 1832, nom .nud.
Epipactis consimilis WALLICH ex HOOKER fil., Fl. Brit. Ind. 6: 126 (1890)
Epipactis somaliensis ROLFE in OLIVER et al., Fl. Trop. Afr. 7: 189 (1897)
Epipactis abyssinica PAX, Bot. Jahrb. Syst. 39: 612 (1907)  
Epipactis wallichii SCHLECHTER, Anz. Akad.Wiss. Wien 1920: 275 (1920)
Etymologie: Veratrum = Germer, folia= Blätter, nach der Ähnlichkeit der Blätter, also germerblättrig.

Wuchs und Größe :

robust, hochwüchsig, 20-120 (-150) cm; als Folge des verzweigten Rhizoms oft in größeren Gruppen

Stängel:

dick, aufrecht bis gebogen, grün, bei Frühblühern manchmal braun überlaufen

Blätter:

2-4 scheidige Niederblätter ; 3-10 (20) spitz zulaufende aufrechte bis abstehende Laubblätter, gekielt, grün bis dunkelgrün; untere breitoval bis lanzettlich, stängelumfassend; mittlere Blätter schmal lanzettlich, lang zugespitzt, die größten 8-28 x 1-6 cm; obere tragblattartig

Blütenstand:

locker und langgestreckt (bis 60 cm), fast einseitswendig, 4-40 Einzelblüten, Stängel im Bereich des Blütenstandes dicht flaumig weißlich behaart

Fruchtknoten und Stiel:

Stielchen grün, manchmal bräunlich überlaufen, flaumig behaart

Tragblätter:

sehr groß, untere manchmal laubblattähnlich mit mehrfacher Länge der Blüten, nach oben hin deutlich kürzer und schmaler werdend

Blüten:

sehr groß, weit geöffnet, abstehend bis nickend; Labellum gebogen, zweigeteilt

Bestäubung allogam

Sepalen:

ei-lanzettlich, die der großblütigen Pflanzen groß 13-21 x 7-10 mm, grünlich-gelb, an den Rändern stark rötlich bis braunrot überlaufen

Petalen:

kürzer und schmaler als Sepalen, stumpfer, wie Sepalen an den Rändern stark rötlich bis braunrot überlaufen

Hypochil:

Länglich kahnförmig, unterscheidet sich von allen anderen Arten der Sektion Arthrochilum durch die auf kleine Leisten reduzierten aufgerichteten Seitenlappen des Hypochils, rötlich bis purpurn gefärbt; gleichzeitig ist dessen Mittellappen seitlich verbreitert und vertieft.

Durchgang zwischen Hypo- und Epichil:

Epichil ist vertikal beweglich (wippend) mit dem Hypochil verbunden
--> Taxonomie


Epichil/Kalli:

auffallend sind die außergewöhnlich hohen und scharfkantigen Kalli des Epichils, weiß bis rötlich gefärbt, Mittelteil des Epichils gelb mit sehr kleinem Mittelkallus und weißer Spitze


Gynostemium:

Anthere groß, kurz gestielt, Pollen gelb; Viscidium gut entwickelt und funktionsfähig, Art allogam

Blütezeit:

Im weiten Verbreitungsgebiet gibt es keinen Monat, in dem die Art nicht irgendwo blüht. Siehe auch unter Besonderheiten. Die Bestäubung erfolgt durch mehrere Schwebfliegenarten (Syrphidae).


Abb. 2
Türkei, Artvin, 06.06.85 Spätblüher - 2 Blüten
Foto: EG
Variabilität:
variiert in Blütezeit und Blütengröße, (nach Delforge: kleine Blüten mit Sepalen 9-12 mm, große Blüten mit Sepalen 15-21 mm) sowie selten in der Farbe des Epichils  (rot gefärbt)
Verwechslungsmöglichkeiten:
Im Betrachtungsgebiet mit keiner anderen Art.
Verbreitung

Gebiet:

Von der SO-Türkei nach Osten (Irak, Iran, Afghanistan, Beluchistan, W-Pakistan, Nepal, N-Indien) bis S-China, nach S über Zypern, Libanon, Israel und Südarabien bis Somalia, Äthiopien


Höhe:

-300 m (Ein Gedi am Toten Meer) bis 3400 m


Stand 2010
Verbreitungsgebiet
Kartenquelle: www.mygeo.info

Abb. 3
Israel, Ein Gedi, Wadi Aruggot 17.02.10
Foto: I. TALMON
Standort

Boden:

in den Quellhängen starke Kalkaussinterung

Exposition:

 

Biotoptyp:

wasserüberrieselte Felshänge oft zusammen mit Adiantum capillus-veneris (Frauenhaarfarn) vorkommend, schattige Quellfluren, Fluß- und Bachufer, nasse Wiesen

Besonderheiten
Die Art gehört zur Sektion Arthrochilum (Gruppe B).

Auffallend ist, dass die Art auf Zypern und in Israel in zwei unterschiedlichen Vegetationsformen vorkommt, zwischen denen aber keine morphologischen Unterschiede festgestellt werden können.
Bei Episkopi auf Zypern und bei den Fundorten in der Judäischen Wüste und auf dem Sinai – wohl auch im Oman - bleibt das Laub der Pflanzen auch nach der Blüte und Fruchtreife grün, während die oberirdischen Teile sonst absterben. Während bei den Frühblühern noch alte Triebe grün sind, treiben bereits die jungen Triebe. Im Frühjahr sind nur noch neue Triebe grün, die dann zum Blühen kommen. Die spät blühenden Pflanzen auf Zypern im Troodos-Gebirge und die in Nordisrael ziehen nach der Samenreife die Blätter ein, im nächsten Jahr treiben die neuen Triebe.
Die Blühzeiten dieser zwei Formen sind deutlich unterschiedlich. Israel Judäische Wüste M.12-E.3, Nordisrael E.4-A.7, Zypern Episkopi 1-5,
Troodos E.6-E.7. Auch die Pflanzen im Oman blühen bereits im März. Leider nicht bekannt ist, zu welcher der Formen die Pflanzen im Jemen (blüht E.10) und Somalia und Äthiopien (blühen 11-12) gehören.
In den anderen Verbreitungsgebieten scheint es nur Pflanzen zu geben, die die Blätter im Herbst verlieren. Epipactis veratrifolia blüht in der Türkei M.5-E.6, im Iran und Afghanistan 4-7, in China (Yunnan, Sichuan) 5, in Sikkim 7-9.

Wie Wissenschaftler aus dem Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena herausgefunden haben (Informationsdienst Wissenschaft - idw – Pressemitteilung Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Dr. Jan-Wolfhard KELLMANN,13.10.2010 16:37), lockt Epipactis veratrifolia Schwebfliegen als Bestäuber an. Die Blüte der Pflanze produziert chemische Alarmsubstanzen, die eigentlich von Blattläusen untereinander als Botenstoff ausgesendet werden. Dieses Alarmsignal riechen Schwebfliegenweibchen und legen ihre Eier direkt bei den vermeintlichen Blattläusen ab, denn diese würden den schlüpfenden Larven als Nahrung dienen. Bei der Eiablage wird gleichzeitig die Blüte bestäubt (siehe hier).
Die sich daraus entwickelnden Larven jedoch sind dem Tode geweiht, da sie keine Blattlaus in der verführerischen Orchideenblüte vorfinden. Immerhin stellt die Pflanze den getäuschten Schwebfliegenweibchen ein wenig Nektar zur Verfügung.


Abb. 4
Israel, Ein Gedi, 26.03.92 Frühblüher
Pflanzengruppe auf überrieselter Felsplatte
Foto: EG

Abb. 5
Israel, Ein Gedi, Wadi Aruggot 17.02.10
Foto: I. TALMON

Abb. 6
Türkei, NW Kahramann Maras, 31.05.1986
Spätblüher, Biotop Höhe ca. 500m
Foto: HZ

Abb. 7
Israel, Ein Gedi, 26.03.92 Frühblüher
Biotop in der fast trockenen Schlucht
Foto: EG

Abb. 8
Süd-Zypern, Amianthos-Mine, 12.06.90
Spätblüher - Biotop in den feuchten Hängen nahe der Mine
Foto: EG

Abb. 9
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher im Biotop
Foto: HP

Abb. 10
Türkei, S Artvin, 17.05.1994 
Spätblüher im Biotop, Höhe ca. 200m
Foto: HZ

Abb. 11
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher im Biotop
Foto: HP

Abb. 12
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher
Foto: HP

Abb. 13
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher - Habitus Einzelpflanze
Foto: HP

Abb. 14
Zypern, Episcopi, 01.03.2006 Frühblüher
Foto: HP

Abb. 15
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher, braunrot überlaufener Stängel
Foto: HP

Abb. 16
Israel, Ein Gedi, 26.03.92
Frühblüher - Infloreszenz
Foto: EG

Abb. 17
Israel, Ein Gedi, Wadi Aruggot 17.02.10
Foto: I. TALMON

Abb. 18
Zypern, Troodos, 06.02.2011 Frühblüher
untypischer, monströs verwachsener Blütenstand
Foto: M. PETTEMERIDES

Abb. 19
Zypern, Troodos, 24.06.2009 Spätblüher
Foto: M. PETTEMERIDES

Abb. 20
Zypern, 26.06.2011 Spätblüher
Schwebfliege mit entnommenem Pollen beim Verlassen der Blüte
Foto: M. CHRISTODOULOS

Abb. 21
Zypern, Episcopi, 10.03.2010 Frühblüher
Blüte mit Eiern von Schwebfliegen; das Duftbouquet der Blüten animiert die Schwebfliegen zum Blütenbesuch und zur Eiablage.
Foto: M. PETTEMERIDES

Abb. 22
Türkei, NW Kahramann Maras, 13.05.1989
Spätblüher
Foto: HZ

Abb. 23
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher, Einzelblüte
Foto: HP

Abb. 24
Süd-Zypern, Amianthos-Mine, 12.06.1990
Spätblüher, Einzelblüte Draufsicht
Foto: EG

Abb. 25
Türkei, Artvin, 06.06.1985
Spätblüher - Infloreszenz
Foto: EG

Abb. 26
Türkei, NW Kahramann Maras, 13.05.1989
Spätblüher - Einzelblüte
Foto: HZ

Abb. 27
Süd-Zypern, Amianthos-Mine, 12.06.1990
Spätblüher - Einzelblüte
Foto: EG

Abb. 28
Israel, Ein Gedi, 26.03.1992
Frühblüher - Einzelblüte
Foto: EG

Abb. 29
Foto: WW

Abb. 30
Foto: WW

Abb. 31
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher, Büte seitlich
Foto: HP

Abb. 32
Zypern, Troodos, 24.06.2009 Spätblüher
Einzelblüte
Foto: M. PETTEMERIDES

Abb. 33
Foto: WW

Abb. 34
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher, Seitenansicht des Gynostemiums
Foto: HP

Abb. 35
Epipactis veratrifolia Studie des Gynostemiums
Foto: WW

Abb. 36
Zypern, Episcopi, 01.03.2006
Frühblüher - Blick auf Stigma
Foto: HP

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