Weißzüngel, Hößwurz
Pseudorchis albida
(L.) A. & D. LÖVE (1969)


Bas.: Satyrium albidum LINNÉ
Sp. pl. 2: 944. 1753

Synonyme:
Coeloglossum albida (L.) HARTMANN (1820)
Gymnadenia albida
(L.) L.C.M RICHARD (1817)
Leucorchis albida
(L.) E. MEYER in PATZE (1848)

Lectotypus:

P. MICHELI, Nov. pl. gen. tab. 26 fig. A 1729
Herkunft: Italien, Provinz Pistoia

Etymologie:
Pseudorchis: gr. "pseudos" = falsch und gr. "orchis" = Hoden;
aufgrund der zwei tief gespaltenen, fingerförmigen Wurzelknollen von der Gattung "Orchis" (hodenförmige Knollen) unterschieden.
albida: von lateinisch "albidus" = weiß-(lich), bezogen auf die Blütenfarbe

Fricken, Garmisch-Partenkirchen,
Foto: W. Dworschak

Beschreibung
Diese Orchidee fühlt sich in den rauheren Gebirgsregionen oberhalb 1500 Meter am wohlsten. Ehemals war sie auch in den Mittelgebirgen Bayerns beheimatet, heute sind ihre Vorkommen innerhalb Bayerns fast ausschließlich auf die Alpen beschränkt.

Im Allgemeinen ist der Habitus schlank, was vor allem durch den schlanken, reichblütigen Blütenstand nochmals verstärkt zum Ausdruck kommt. Die Wuchshöhe kann je nach Vitalität und Standortbedingungen von 10 - 30 cm variieren.
Die bis zu 7 frischgrünen Laubblätter sind ungefleckt, länglich-oval, schräg aufwärts gerichtet und gleichmäßig im unteren Bereich des schlanken Stängels verteilt.

Auf den ersten Blick fällt es schwer, die typische Orchideenblüte in den leicht herabhängenden, nur 4 - 6 mm großen, gelb- bis grünlichweißen "Glöckchen" zu erkennen.
Die Perigonblätter bilden über dem Säulchen einen geschlossenen Helm, wobei die inneren Petalen kürzer als die ovalen Sepalen sind.

Betrachtet man die Blüte etwas genauer, fällt einem die deutlich dreigeteilte, farblich kaum abweichende Lippe ins Auge.
Diese Dreiteilung, besser gesagt das Verhältnis der Länge des mittleren Lappens zu den Seitenlappen gab in jüngerer Zeit Anlass zur Diskussion (siehe unter "Besonderheiten").
Der Blütensporn ist nektarführend, kurz (ca. 1/2 der Fruchtknotenlänge), leicht abwärts gerichtet und stumpf endend.

Blütenstand
Rauhkopf, Schlierseer Berge, 11.07.2004
Foto: U.G.

Verwechslung:

Eigentlich ist Pseudorchis albida kaum verwechselbar. Lediglich die Einknolle Herminium monorchis ist mit ihren lang ausgezogenene Lippenzipfeln und grünlichen Blüten morphologisch wohl am ähnlichsten.
Jedoch besitzt sie grundständige Blätter, einen lockeren Blütenstand und noch kleinere Blüten mit längeren, dünneren "Zipfeln".

Standorte:
Die Höswurz ist außerhalb des nordeuropäischen Raumes eine typische Gebirgspflanze.
In den Alpen ist sie auf den Bergwiesen in Höhen bis zu 2500 m, seltener auch in den Wiesen der etwas höher gelegenen Alpentäler (ca. 900 m) zu finden.
Meist steht sie vollsonnig, verträgt aber auch leichte Beschattung durch vereinzelte Bäume, Sträucher, oder Lage des Standortes.
In den meisten Fällen steht sie auf kalkfreiem bis saurem Untergrund in tiefgründigeren Borstgrasrasen und Zwergstrauchheiden.
Begleitpflanzen können hier z.B. die Blutwurz (Potentilla erecta), das Katzenpfötchen (Antennaria dioica), Arnika (Arnica montana), oder verschiedene Enzian-Arten, wie der Gelbe- oder der Tüpfel-Enzian sein.
Man kann sie im alpinen Bereich allerdings nicht als eindeutig kalkfliehend betrachten, da sie durchaus auch in Gesellschaft kalkliebender Arten, wie z.B. Gymnadenia odoratissima oder auch Nigritella rubra vorkommen kann.
Die wenigen verbliebenen Populationen der Mittelgebirge befinden sich hauptsächlich in deren Hochlagen. Hier werden trockene bis mäßig frische Bergwiesen, meist im Borstgrasrasen auf mäßig sauren, oberflächlich basenarmen Böden als Lebensraum angenommen.


Zwergstrauchheiden als Lebensraum in den Ammergauer Alpen
Scheinberg, 27.06.2004
Foto: U.G.

Besonderheiten:

Während Pseudorchis albida in der Vergangenheit eher als Art der tiefgründigen kalkfreien bis sauren Standorte bekannt war, existieren aber auch Populationen auf flachgründigen, kalkreichen Böden, die sich zudem morphologisch etwas unterscheiden sollen.
Bereits BECK beschrieb diese im Jahr 1890 als var. tricuspis, E. KLEIN erhob sie 110 Jahre später dann in den Unterartrang.
Neben den unterschiedlichen Standortbedingungen, die sich vor allem auf das Vorhandensein oder Fehlen eines kalkhaltigen Bodens beziehen, unterscheiden sich beide Unterarten laut Beschreibung vor allem durch die längeren Seitenlappen der Lippe, eine intensivere Gelbfärbung der Blüten und etwas größeren Blütendimensionen bei subsp. tricuspis.
Näheres finden Sie auch auf diesem Merkblatt im PDF- Format

Eine klare Abhängigkeit der angeführten Merkmale von den standörtlichen Begebenheiten konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden.

Gesamtverbreitung:
Das Areal erstreckt sich in der West-Ost-Ausdehnung von Irland und Nordspanien bis in die Karpaten und das nordwestliche Sibirien, Im Norden erreicht sie Nord-Skandinavien, im Süden die italienischen Abruzzen und den Balkan.

Blütenstandsausschnitt
Steineberg, Allgäuer Alpen, 26.06.2005
Foto: U.G.

Blütenstandsausschnitt
Rauhkopf, Schlierseer Berge, 26.06.2006
Foto: U.G.

© AHO-Bayern e.V.
Verbreitungskarte im PDF- Format
Datenbasis AHO-Bayern und LfU

Karte mit Nachweis-Schwerpunkt ab 2021
Datenbasis AHO-Bayern

Verbreitung in Bayern/Gefährdung:
In den Alpen ist die Hößwurz recht verbreitet, stellenweise nicht selten.
Diese Situation steht im krassen Gegensatz zu den außeralpinen Standorten innerhalb Bayerns, wo Pseudorchis-Populationen extrem selten und vom Aussterben akut bedroht ist.
Momentan existieren nur noch ganz vereinzelte aktuelle Fundpunkte außerhalb des Alpenraumes.
Neufunde, vor allem in den Mittelgebirgen sind natürlich nie ausgeschlossen und sollten bitte dringend den Kartierungsstellen mitgeteilt werden, da diese Biotope unbedingt schutzwürdig sind!


Population sehr zierlicher Pflanzen am
Scheinberg, Ammergauer Alpen, 27.06.2004
Foto: U.G.

Einzelblüte
Scheinberg, Ammergauer Alpen, 27.06.2004
Foto: U.G.

Blütenstandsausschnitt
Steineberg, Allgäuer Alpen, 26.06.2005
Foto: U.G.

Einzelblüte mit Sporn
Rauhkopf, Schlierseer Berge, 26.06.2005
Foto: U.G.

Scheinberg, Ammergauer Alpen, 27.06.2004
Foto: U.G.

Foto: H. Eisenbeiss


Hohe Rhön, ca. 890 m, 28.06.1997
Foto: M. Klüber


Hohe Rhön, ca. 890 m, 25.06.1994
Foto: M. Klüber

Hohe Rhön, ca. 890 m, 28.06.1997
Foto: M. Klüber

Hohe Rhön, ca. 890 m, 13.07.1996
Foto: M. Klüber

Hohe Rhön, ca. 890 m, 20.06.1999
Foto: M. Klüber

Hohe Rhön, ca. 890 m, 20.06.1999
Foto: M. Klüber

Hohe Rhön, ca. 890 m, 20.06.1999
Foto: M. Klüber

Kranzberg
Foto: W. Dworschak


Kranzberg, 16.06.2007
Foto: W. Dworschak

Wank
Foto: W. Dworschak


Tanneralm, 26.06.2010
Foto: U. Grabner


Kranzberg
Foto: W. Dworschak

Tanneralm, 26.06.2010
Foto: U. Grabner


Tanneralm, 26.06.2010
Pseudorchis albida zusammen mit dem Roten Kohlröschen und der Kugel-Orchis

Foto: U. Grabner

Uwe Grabner

Literatur:

  • AHO-Bayern e.V. (2005) Orchideen in Bayern

  • ARBEITSKREISE HEIMISCHE ORCHIDEEN (2005) Die Orchideen Deutschlands: 348-353

  • KLÜBER, M. (2009) Orchideen in der Rhön

  • KÜMPEL, H. (1996) Die wildwachsenden Orchideen der Rhön

  • PRESSER, H. (2000) Die Orchideen Mitteleuropas und der Alpen, Landsberg/Lech S.100-107

  • WUCHERPFENNIG, W. (2002) Neues zu Pseudorchis albida s.l., Jahresber. naturwiss. Ver. Wuppertal 55: 19-26, 2002
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